Der Riesling spielt seine Stärken aus

Erntebilanz im Weinanbaugebiet Mosel: Herausfordernder Herbst mit hohem Arbeitsaufwand, aber auch Spitzenqualität – Erntemenge leicht unter dem Durchschnitt.

Die Traubenlese 2023 wird den Winzerinnen und Winzern im Weinanbaugebiet Mosel als arbeitsreicher Herbst in Erinnerung bleiben. Es war ein Herbst der Herausforderungen, der aber auch die Chance auf die Erzeugung von Spitzenweinen geboten hat. Die rasante Reife-Entwicklung ab Anfang September machte in den meisten Weinlagen einen hohen Selektionsaufwand erforderlich. Dieser wurde bei der Rebsorte Riesling mit exzellenten Qualitäten bis hin zu Großen Gewächsen und edelsüßen Raritäten wie Trockenbeerenauslesen belohnt. Die früher reifenden Burgundersorten kamen mit den Wetterbedingungen im Spätsommer dagegen weniger gut zurecht.
Die Auswirkungen des Klimawandels werden im Lesezeitpunkt deutlich: Mitte Oktober ist die Lese an Mosel, Saar und Ruwer bereits für viele Betriebe beendet, während vor 20 Jahren kaum eine Rieslingtraube vor diesem Zeitpunkt geerntet wurde. Einige Weingüter sind aber noch in den Steillagen im Einsatz, um Rieslingtrauben für die Erzeugung von Spitzenweinen zu ernten.

Die Erntemenge im Anbaugebiet Mosel liegt zwar rund drei Prozent über der des Vorjahres, fällt aber nach den aktuellen Schätzungen leicht unterdurchschnittlich aus, wie der Moselwein e.V. in seinem Herbstpressegespräch in Kanzem an der Saar mitteilte. Vorsitzender Henning Seibert rechnet damit, dass rund 710.000 Hektoliter Traubenmost aus dem 2023er Jahrgang in den Tanks und Fässern liegen. Das sind etwa 1,5 Prozent weniger als im Durchschnitt der letzten zehn Jahre. Von 2012 bis 2022 lag die durchschnittliche Produktion im Gebiet bei 720.000 Hektolitern. Infolge der Trockenheit wurden 2022 nur 688.000 Hektoliter geerntet. Bis Mitte August lagen die Ernteschätzungen aufgrund der ausreichenden Niederschläge im Sommer für den 2023er noch deutlich höher. Das feucht-warme Wetter im Spätsommer ließ die Erntemenge aufgrund sich ausbreitender Fäulnis rasch schrumpfen.

Die Situation hinsichtlich Reifezustand und Traubengesundheit war je nach Lage, Boden, Bewirtschaftungsweise und Ertragsniveau im Gebiet sehr unterschiedlich. Kennzeichnend für den Jahrgang ist erneut die hohe Varianz bei Qualität und Menge, die sich sogar bis in einzelne Weinlagen zeigte. Diese Heterogenität der Ernte ist mittlerweile fast Normalzustand. Wie im kühlen und nassen 2021 oder im trockenen und heißen 2022 ist auch 2023 die Bandbreite bei Erträgen und Qualität wieder sehr groß. Je nach Standort, Wasserversorgung und Rebsorte sowie abhängig von Alter und Genetik der Reben und Unterlagen gehen die Ergebnisse weit auseinander. Die hohen Niederschläge im Sommer sorgten vor allem in Böden mit guter Wasserspeicherfähigkeit und kompakten Trauben für Probleme mit Fäulnis, weil sich Beeren infolge des Wasserdrucks abquetschten.

Erste Trauben für Federweißer wurden bereits ab 26. August geerntet. Die Traubenlese der frühreifenden Sorten begann fast schlagartig schon in der ersten Septemberhälfte, nachdem Niederschläge und sehr warmes Spätsommerwetter die Entwicklung vorangetrieben hatten und Insekten wie die Kirschessigfliege in die Weinberge einfielen. Vor allem die roten Rebsorten waren davon betroffen. Die Ausbeute an Rotwein fiel im Anbaugebiet daher klein aus, die meisten Rotweintrauben wurden zu Rosé verarbeitet. Neben den roten Sorten litten auch die weißen Burgundersorten unter den Bedingungen.

Der später reifende Riesling profitierte dagegen von einem positiven Witterungsverlauf in der zweiten Septemberhälfte und spielte vor allem in den steinigen Schiefersteillagen seine Stärken aus. Die mit 62 Prozent wichtigste Rebsorte der geschützten Ursprungsbezeichnung Mosel bietet im 2023er Jahrgang die gesamte Bandbreite der Weinstile: vom trockenen und feinherben Gutsriesling über Großes Gewächs und die fruchtigen Klassiker Kabinett und Spätlese bis zu den edelsüßen Auslesen und Beerenauslesen.

Der Arbeitsaufwand war allerdings auch beim Riesling enorm. Anlagen, die vorgelesen wurden, profitierten von den kühlen Nächten und sonnigen Tagen Ende September und Anfang Oktober. Während vollreifes, gesundes Material für trockene und feinherbe Weine sowie Kabinett geerntet werden konnte, bot die Edelfäule Botrytis die Möglichkeit zur Selektion von Rosinen mit weit über 100 Grad Oechsle zur Erzeugung edelsüßer Spitzengewächse. Die hohen Arbeitskosten bei selektiver Ernte lohnen sich allerdings nur für Weingüter, die entsprechende Preise erzielen können. Im Bereich der Trauben- und Fassweinerzeuger lag das Mostgewicht daher auch im Bereich von 70 bis 85 Grad Oechsle. Auch die Rebsorten Elbling und Müller-Thurgau gehören mit guten Erträgen und Mostgewichten zu den Gewinnern des Jahrgangs im Anbaugebiet.

91 Prozent der Erntemenge 2023 entfallen nach den aktuellen Schätzungen des Weinbauverbandes Mosel auf Weißweinsorten. Der Verband geht von rund 710.000 Hektolitern aus, davon 650.000 Hektoliter Weißmost. Die Rebsorte Riesling mit einem durchschnittlichen Ertrag von 80 Hektolitern je Hektar macht mit rund 426.000 Hektolitern fast 60 Prozent der gesamten Ernte an Mosel, Saar und Ruwer aus. Die Ausbeute bei Elbling mit 115 Hektoliter und Müller-Thurgau mit 100 Hektoliter je Hektar liegt leicht über den Werten von 2022. Trotz der Einbußen gibt es 2023 bei einem Ertrag von 80 Hektoliter je Hektar ähnlich viel Weiß- und Grauburgunder wie 2022. Bei den roten Sorten wird der Gesamtertrag auf rund 62.000 Hektoliter geschätzt. Hier reichen die Erträge im Mittel von 75 hl/ha beim Spätburgunder bis 85 hl/ha beim Dornfelder. Das Gros der roten Trauben wird zu Rosé und Blanc de noir verarbeitet.
Die Gärung der Moste verläuft sehr gut und störungsfrei. Dank der Niederschläge im Sommer konnten die Reben die Früchte gut versorgen, die Moste haben ausreichend hefeverfügbare Nährstoffe.

Der Winter 2023 war mit Durchschnittstemperaturen im Januar von 4,4 Grad Celsius in Trier und 5,6 Grad Celsius in Winningen deutlich wärmer als im langjährigen Mittelwert. Die Niederschläge verteilten sich sehr ungleichmäßig, im Süden der Region gab es im Winter und im Frühling deutlich mehr Regen als im Norden des Gebietes. Damit startete die Terrassenmosel mit einem Niederschlagsdefizit in die Vegetationsperiode. Der Austrieb erfolgte zwischen dem 25. April (Winningen) und dem 3. Mai (Trier). Mai und Juni waren überwiegend trocken und warm mit überdurchschnittlich vielen Sonnenstunden, was ein rasches Wachstum der Reben förderte. Die Rebblüte begann um den 8. Juni – etwas später als 2022, aber immer noch deutlich vor dem langjährigen Mittelwert. Der trockene und heiße Juni brachte vor allem jüngeren Rebanlagen Trockenstress und nährte die Befürchtungen, dass der Region ein weiterer Dürre-Sommer bevorstehe. Im Juli gab es erste Sonnenbrandschäden, bevor ein Wetterumschwung in der letzten Juli-Woche mit ergiebigen Niederschlägen großflächig für Entspannung in den Weinbergen sorgte.  Die nasse Witterung bei moderaten Temperaturen setzte sich im August fort und brachte mehr Niederschläge als im langjährigen Mittel. Der überdurchschnittlich nasse August tat der Natur und vor allem dem Wald gut, für die in die Reife übergehenden Trauben war das Wetter weniger optimal. Ein überdurchschnittlich warmer September – der wärmste in Deutschland überhaupt – brachte dann nicht nur viele Sonnenstunden und hohe Temperaturen, sondern vor allem im Norden der Mosel auch mehr Regen als üblich.  

Von Frost und Hagel blieb das Moselgebiet bis aus wenige örtliche Ereignisse wie in Thörnich, Wehlen und Wincheringen weitgehend verschont. Probleme bereiteten dagegen zeitweise Infektionen mit Oidium und Peronospora.

Der Absatz von Moselweinen entwickelte sich im laufenden Jahr im In- und Ausland weiter sehr unterschiedlich. Im Inlandsmarkt hinterließ die starke Konsumzurückhaltung infolge von Inflation und hohen Energiepreisen im Lebensmitteleinzelhandel deutliche Spuren. Hier liegen die Absatzrückgänge für Moselweine im zweistelligen Prozentbereich. Weine in günstigeren Preissegmenten werden stärker gefragt. Auch Fachhandel und Direktvermarkter bekommen die Kaufzurückhaltung zunehmend zu spüren, allerdings weniger stark wie im LEH.

Der für die Mosel wichtige Export – etwas 25 bis 30 Prozent der jährlichen Produktion werden ausgeführt – verzeichnete 2022 und im ersten Halbjahr 2023 Rückgänge in der Menge bei gleichzeitig steigendem Wert. Im Jahr 2022 verzeichnete der Export von Moselwein laut Verband Deutscher Weinexporteure einen Zuwachs um 3 Prozent im Wert und einen Rückgang um 6 Prozent in der Menge. Es wurden 201.000 Hektoliter weißer Qualitätswein im Gesamtwert von 93 Millionen Euro ausgeführt. Das entspricht einem Durchschnittspreis von 4,64 Euro je Liter ab Keller. Für das erste Halbjahr 2023 registrierte der VDW bei den Ausfuhren von Moselwein ein Mengen-Minus von 4 Prozent und ein Wert-Plus von 0,8 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum von Januar bis Juni 2022.

Die Mostpreise bei weißen Sorten wie Elbling und Müller-Thurgau, aber auch Burgunder notierten Ende September bei 70 Cent je Liter und damit unter den Preisen des Vorjahres. Beim Riesling stieg der Mostpreis zwischenzeitlich von 80 auf 90 Cent je Liter an. Angesichts der schwierigen Absatzlage vor allem im Lebensmitteleinzelhandel wurde schon vor der Ernte mit zurückgehenden Fassweinpreisen gerechnet. Ausländische Fassweine drängen zu sehr niedrigen Preisen auf den deutschen Markt, da auch in anderen Weinbauländern der Konsum lahmt und die Produktion höher als der Absatz ist. Die unbefriedigende Preisentwicklung dürfte zu weiteren Betriebs- und Flächenstilllegungen vor allem bei kleineren Betrieben ohne Nachfolger führen. Der Moselwein e.V. geht daher davon aus, dass die Rebfläche im Anbaugebiet von derzeit rund 8.570 Hektar in den kommenden Jahren kleiner werden wird.