Biologische Vielfalt in den Moselweinbergen

Tage der Lebendigen Moselweinberge: Neue Leuchtpunkte der biologischen Vielfalt in Nittel und Lehmen ausgezeichnet.

Zum dritten Mal veranstaltete die Regionalinitiative Mosel am 5. und 6. Mai 2018 die „Tage der Lebendigen Moselweinberge". Im gesamten Weinanbaugebiet Mosel führten insgesamt 27 Wanderungen und Exkursionen in die besondere Welt von Weinbergsflora, Vögel, Schmetterlinge, Wildbienen und Reptilien. Dabei waren die Teilnehmer auch schon einmal mit dem Kanu von Schoden nach Kanzem, mit dem Planwagen um Enkirch oder zusammen mit Ziegen im Trierer Tiergartental unterwegs. In Workshops wurde der Bau von Trockenmauern, Lebenstürmen und Insektenhäusern gezeigt und die Teilnehmer dürfen tatkräftig mitgestalten.

Aus dem Weinbau- und Wirtschaftsministerium kam Staatssekretär Andy Becht nach Nittel an die Südliche Weinmosel,  um die Tage der Lebendigen Moselweinberge mit Mosel-Weinkönigin Kathrin Hegner udn Landrat Gregor Eibes, Vorsitzender der Regionalinitiative Mosel, offiziell zu eröffnen und den Nitteler Fels als Leuchtpunkt der Artenvielfalt auszuzeichnen (Foto: Ansgar Schmitz). Im Rahmen der Initiative Lebendige Moselweinberge ruft das DLR Mosel - dessen Leiter Hubert Friedrich die Veranstaltung in Nittel moderierte - Naturerlebnisbegleiter in jedem Jahr auf, „Leuchtpunkte der Artenvielfalt" zu wählen. Das diesjährige Motto „rekordverdächtig" suchte Flussabschnitte, die ideale Lebensbedingungen für bedrohte Arten bieten.

Dr. Johannes Orzechowski hat zusammen mit seinen Kollegen Hans-Peter Weiter und Alfred Willenbücher die Bewerbung für den Nitteler Fels auf den Weg gebracht. Ein einstimmiges Votum für die mächtige, unter Naturschutz stehende Felswand hatte in der Gemeinde für ein Aktionsprogramm gesorgt. Eine neue Informationstafel des Heimat- und Verkehrsvereins informiert Besucher über die Flora, Fauna und Geologie des Felsen. Der Seniorenverein will mit der Errichtung eines zwei Meter hohen Lebensturms kleinen Tieren Unterschlupf und Wohnung bieten. Die Kindertagesstätte St. Martin hat die Einrichtung des Turms tatkräftig unterstützt. In einer naturpädagogischen Lerneinheit mit Erzieherin Maria Frieden und Kultur- und Weinbotschafterin Marlene Bollig haben die Kinder Seelilienstengel in Kalksteinen gefunden, die Felswand als Haus für Tiere und Pflanzen kennengelernt und Steinanhänger gebastelt.
Becht konnte ein Informationsschild für den neuen Leuchtpunkt mit QR-Code anschrauben, über den Besucher zu der detaillierten Beschreibung seiner landschaftlichen Besonderheiten gelangen. Diese beruhen auf dem Dolomitgestein, das aus den Kalkablagerungen eines Urozeans entstand und der Mosel im Dreiländereck ein besonderes Gesicht gibt.

In Nittel führte Gerd Müller in einer dreistündigen Wanderung mit Weinprobe „Über Stock und Stein zum Felsen- und Orchideenweg". „Vom Knie zur Hand" lautete der Titel einer Sonntagsmatinee mit Dr. Johannes Orzechowski zwischen zwei Kunstwerken durch die Weinberge mit der Vorstellung des Nitteler Felsens als „Leuchtpunkt der Artenvielfalt" und des „Lehlinger Gartens".
Der Nitteler Fels ist besonders, das schätzen nicht nur die Gäste an der Obermosel, das wissen auch die Nitteler. Die imposante Bruchkante des Felsens ist von weither sichtbar. Die Einheimischen identifizieren sich anhand dieses Merkmals mit ihrer Umgebung. Das Areal ist seit 1998 als Naturschutzgebiet ausgewiesen und liegt im Landschaftsschutzgebiet „Obermosel" sowie im Fauna-Flora-Habitat „Nitteler Fels und Nitteler Wald". Die vor etwa 240 Millionen Jahren entstandenen Dolomit- und Kalksteinfelsen ragen über 20 Meter in die Höhe und erstrecken sich über eine Länge von etwa einem Kilometer. Die Besiedlung des Gebiets erfolgte nachweislich in der Steinzeit. Seit mehr als 1.000 Jahren, vermutlich jedoch bereits zur Zeit der Römer, wird Wein angebaut.
Über dem ausgeprägten Moselbogen bestimmt der imposante Fels das Landschaftsbild. Die Bruchkante des hellen Dolomitfelsens ist von weither sichtbar. Dass dieses Gestein nur an wenigen Stellen an der Mosel vorzufinden ist, schafft einen ganz besonderen Lebensraum für seltene Pflanzen- und Tierarten. An den Moselhängen unterhalb des Felsens ergänzen zum Teil steile Weinberge das Landschaftsensemble. Somit zählt der Nitteler Fels zu den vielfältigsten Landschaftselementen im ganzen Landkreis.

Die Biotop- und Strukturtypen am Nitteler Fels haben eine überregionale Bedeutung für die Artenvielfalt und den Erhalt der Biodiversität. Felsengebüsche mit Felsenbirne, Kornelkirsche und Elsbeere sind hier zu finden. Die Weißdornsträucher dominieren eindrucksvoll den Bereich der oberen Felswand. Unter die zu schützenden Biotoptypen fällt zudem der Fels, in dessen Spalten gefährdete und schützenswerte Arten ihren Lebensraum haben. Darunter zählen der Milzfarn, der gewöhnliche Tüpfelfarn und der Mauerraute. In den Trespen-Halbtrockenrasen und die naturnahen Kalkmagerrasen wachsen das Wimpernperlgras und die Karthäusernelke. Eine Besonderheit stellt das vielfältige Orchideen-Vorkommen mit Bocks-Riemenzunge, Hummel-Ragwurz, Bienen-Ragwurz, Ohnhorn, Pyramiden-Hundswurz und Purpur-Knabenkraut, die entlang des Moseltals nur an der Obermosel und vermehrt am Nitteler Fels zu finden sind, dar. Auch der Acker-Wachtelweizen und der Kriechende Hauhechel sind dort beheimatet. Hervorzuheben ist auch der Anbau der Rebsorte Elbling, die hauptsächlich an der Obermosel angepflanzt wird. Ein Fünftel der Weltjahresproduktion an Elblingweinen stammt aus Nittel, wo 75 Prozent der Weinberge mit Elblingreben bestockt sind.
Der Nitteler Fels ist Lebensraum für viele Reptilien, Insekten, Vögel und Fledermausarten. Die Felswände dienen als Jagdhabitate den gefährdeten Großen Hufeisennase, Mopsfledermaus, Breitflügelfledermaus und Bechsteinfledermaus, die sich von den dort lebenden Insekten ernähren.
Über 50 Tagfalter-Arten wurden am Dolomitfelsen beobachtet, darunter der Silbergrüne Bläuling, der Schwalbenschwanz, der Kleine Sonnenröschen-Bläuling und der Große Schillerfalter. Zudem leben dort sehr seltene Nachtfalter, beispielsweise die Getreide-Steppeneule und die Braune Labkrauteule. Die Leitarten Mauereidechse und Schlingnatter halten sich in den Felsspalten und den Weinbergsmauern auf. Auch Wildbienen sind in dem Gebiet zu finden. Der Baumbewuchs am oberen Fels bietet Greifvögeln eine Lebensstätte, dort leben unter anderem der Turmfalke, der Rote Milan und der Habicht. Weitere Vogelarten, wie der Neuntöter, das Schwarzkelchen oder der Grünspecht, halten sich in den Gebüschen auf.  
Ein zweiter neuer Leuchtpunkt wurde an der Lehmener Würzlay ausgezeichnet. Hier fand eine Weinberglesung mit Jugendbuchautor Stefan Gemmel auf dem neuen Erlebnispfad am Razejungewingert statt. Zudem wurde eine neue Informationstafel enthüllt.
Im Mai 1992 wurde in Rio de Janeiro die Konvention über die Biologische Vielfalt, verabschiedet, die über EU- und Bundesebene bis zur Biodiversitätsstrategie Rheinland-Pfalz heruntergebrochen wurde. Die Initiative „Lebendige Moselweinberge" versteht sich seit 2013 als eine lokale Umsetzung dieser Vorgaben für das Weinanbaugebiet Mosel. Im Jahr 2013 wurde sie als Leitprojekt innerhalb der Regionalinitiative Mosel unter der Federführung des DLR Mosel beschlossen. Sie ist zudem Bestandteil des Steillagenkonzeptes Mosel. Im September 2016 wurde die „Initiative Lebendige Moselweinberge" als UN-Dekade Projekt ausgezeichnet.
Ziel der Initiative „Lebendige Moselweinberge" ist explizit die Förderung der Vielfalt von Flora und Fauna als wichtiges Qualitätsmerkmal einer intakten Weinkulturlandschaft. Das DLR Mosel sieht sich dabei als Schnittstelle zwischen Akteuren, Administration und Forschung. Ziel ist es wissenschaftliche Erkenntnisse und praktisches Knowhow an Menschen weiterzugeben, die sich für eine größere biologische Vielfalt einsetzen wollen. Wo dies möglich ist, sollen Fördermöglichkeiten aufgezeigt werden.
Zielgruppen sind gleichberechtigt die einheimische Bevölkerung und die Gäste in der Moselregion. Für Weinbaubetriebe wird eine größere Wertschöpfung des Steillagenweinbaus in einer vom Kunden als intakt empfundenen Landschaft ermöglicht. Gleiches gilt für alle Bereiche der touristischen Leistungsträger. Der Gast kommt in den Genuss einer abwechslungsreichen Urlaubsregion mit sehr hohem Erlebnispotential.
In den fünf Jahren wurden vom DLR Mosel verschiedene Maßnahmen zur Wissensvermittlung und Öffentlichkeitsarbeit durchgeführt. Herausragend ist die zum fünften Mal durchgeführte, fundierte Ausbildung von Naturerlebnisbegleitern oder ein Fotowettbewerb mit anschließender Fotoausstellung. Innerhalb von fünf Jahren sollen insgesamt 16 „Leuchtpunkte" der Lebendigen Moselweinberge auf besondere Aspekte der vielfältigen Mosellandschaft hinweisen. Seit 2016 werden anlässlich des Internationalen Tags der Artenvielfalt die „Tage der Lebendigen Moselweinberge" durchgeführt. Mehrere LEADER-Projekte der LAG Mosel wurden bei Planung und Antragsstellung betreut. Dazu kommen landespflegerische Maßnahmen innerhalb von Weinbergflurbereinigungen. Eine Broschüre zu den kulturhistorischen Weinbaulandschaften bildet den konzeptionellen Rahmen für weitere gezielte Aktivitäten.
Die Resonanz auf die innerhalb der Initiative gesetzten Impulse ist riesengroß. Bei den Winzer entsteht über die Bewusstseinsbildung zum Thema eine immer stärker werdende Eigendynamik, sowohl bei der steigenden Zahl der Partnerbetriebe Naturschutz als auch bei biologisch oder konventionell wirtschaftenden Weingütern bis hin zu den Weinbauverbänden. In den Medien wird auf allen Ebenen kontinuierlich über die „Lebendigen Moselweinberge" berichtet. Die Teilnehmer der Ausbildung zu Naturerlebnisbegleitern sind von deren Qualität begeistert.
Insgesamt sind die „Lebendigen Moselweinberge" ein hervorragendes Beispiel für ein erfolgreiches Zusammenspiel von Regionalentwicklung und praktischer Umsetzung der Biodiversitätsstrategie.